Offenheit statt Konfrontation
In Zeiten gesellschaftlicher Spannungen und wachsender Polarisierung ist es oft schwer, überhaupt noch miteinander ins Gespräch zu kommen. Besonders in Debatten über Politik, Gesundheit oder gesellschaftliche Werte prallen Überzeugungen immer härter aufeinander. Eine neue Studie des Instituts für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart zeigt nun: Offene Kommunikation kann helfen, Gräben zu überwinden – selbst dann, wenn Meinungen extrem verhärtet sind.
Forschung mit gesellschaftlicher Relevanz
Das Forscherteam um Simon Stocker und Professor André Bächtiger untersuchte, welche Formen der Kommunikation dazu beitragen können, Polarisierung zu verringern. Die Ergebnisse wurden im renommierten British Journal of Political Science veröffentlicht. Das zentrale Ergebnis: Nur ein offener Kommunikationsmodus ermöglicht es, Menschen auch in stark polarisierten Situationen zu erreichen. Das gilt selbst für Personen, die an Verschwörungstheorien glauben – Gruppen also, die oft als besonders schwer zugänglich gelten.
Wie Kommunikation Polarisierung beeinflusst
In der Studie wurden drei Kommunikationsformen miteinander verglichen: ein konfrontativer, ein kollaborativer und ein offener Modus. Während konfrontative Diskussionen – also das direkte Gegenüberstellen von Argumenten – und kollaborative Ansätze – die Suche nach Kompromissen – häufig zu Abwehrreaktionen führen, zeigt sich beim offenen Modus ein anderes Bild.
„Es geht darum, sich zu einem Thema zu äußern, ohne direkt mit Gegenargumenten konfrontiert zu werden oder zur Suche nach einem Kompromiss aufgefordert zu werden“, erklärt Simon Stocker, der die Untersuchung leitete. Dieser Ansatz ermögliche es den Teilnehmenden, ihre Haltung zu reflektieren, ohne sich sofort verteidigen zu müssen – und schaffe damit Raum für echtes Nachdenken.
Empirische Ergebnisse aus Deutschland und Österreich
Die Erkenntnisse basieren auf zwei groß angelegten Bevölkerungsumfragen mit rund 4.000 Teilnehmenden während der COVID-19-Pandemie. In Deutschland sollten die Befragten zwischen individueller Freiheit und dem Schutz der Gesundheit abwägen. In Österreich wurde die Haltung zur Impfpflicht untersucht. Die Forschenden stellten fest, dass die Teilnehmenden in Österreich deutlich stärker polarisiert waren: Fast 70 Prozent vertraten eine gefestigte Meinung – im Gegensatz zu etwa 37 Prozent in Deutschland.
Gerade in dieser stark polarisierten Gruppe zeigte sich der offene Kommunikationsmodus als besonders wirksam: „Wenn man Menschen mit Gegenpositionen konfrontiert oder sie auffordert, nach Gemeinsamkeiten zu suchen, führt das häufig zu Ablehnung“, so Stocker. „Sie empfinden das als Angriff auf ihre Überzeugung. Offenheit hingegen ermöglicht überhaupt erst wieder den Einstieg in ein Gespräch.“
Kommunikation ist kein Patentrezept
Ein Allheilmittel gegen Polarisierung gibt es jedoch nicht. „Produktive Kommunikation, die vertieftes Nachdenken, konstruktive Vorschläge und Depolarisierung bewirkt, ist in der Regel ein Mosaik aus unterschiedlichen Kommunikationsmodi“, betont Professor André Bächtiger, Leiter des Instituts für Sozialwissenschaften und Co-Autor der Studie. Entscheidend sei, Kommunikation bewusst zu gestalten – angepasst an den Kontext, die Zielgruppe und das Konfliktniveau.
Bedeutung für Politik und Gesellschaft
Die Ergebnisse der Studie sind hochaktuell – nicht nur im Hinblick auf gesellschaftliche Debatten zu Pandemie, Migration oder Klimaschutz, sondern auch für politische Kommunikation im Allgemeinen. Wenn Gesellschaften zunehmend in Lager zerfallen, braucht es neue Wege, um Gesprächsfähigkeit zu erhalten. Die Stuttgarter Forscher zeigen, dass Offenheit und Zuhören entscheidende Schlüssel dafür sein können. Denn nur, wenn Menschen sich gehört fühlen, sind sie bereit, andere Perspektiven zuzulassen – und das ist die Basis jeder funktionierenden Demokratie.
