Ein eisiger Mond mit geheimnisvollem Innenleben
Der Saturnmond Enceladus fasziniert die Wissenschaft seit Jahren – nun liefert er erneut spektakuläre Erkenntnisse. Forschende der Universität Stuttgart und der Freien Universität Berlin haben in neu ausgewerteten Daten der NASA-Raumsonde Cassini Hinweise auf bislang unbekannte organische Moleküle entdeckt. Diese stammen direkt aus einem unterirdischen Ozean, der sich unter der mehrere Dutzend Kilometer dicken Eiskruste des Mondes verbirgt. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal Nature Astronomy veröffentlicht – und könnten die Suche nach Leben im Sonnensystem in eine neue Phase führen.
Enceladus misst nur etwa 500 Kilometer im Durchmesser, doch sein Inneres birgt eine gewaltige Überraschung: Unter der gefrorenen Oberfläche verbirgt sich ein flüssiger Ozean, aus dem riesige Fontänen aus Eis und Gas in den Weltraum schießen. Diese Geysire am Südpol des Mondes, erstmals 2005 von der Raumsonde Cassini entdeckt, sind das Tor zu einer verborgenen, dynamischen Welt.
Frische Partikel aus den Tiefen des Eisozeans
Die neuen Erkenntnisse beruhen auf Daten eines besonders spektakulären Vorbeiflugs der Raumsonde im Jahr 2008. Damals näherte sich Cassini bis auf 21 Kilometer der Oberfläche des Mondes und sammelte Proben aus einer Eruption am Rand eines dieser Eis-Geysire. Damit konnten Forscher*innen erstmals „frisch“ ausgestoßene Partikel untersuchen – winzige Eiskörner, die noch Minuten zuvor im Ozean des Enceladus existiert hatten.
Das Team um Dr. Nozair Khawaja vom Institut für Raumfahrtsysteme (IRS) der Universität Stuttgart und der Freien Universität Berlin analysierte diese Proben gemeinsam mit internationalen Partnern aus den USA und Japan. „Die Partikel sind buchstäblich Botschafter aus einem fremden Ozean“, sagt Khawaja. „Sie ermöglichen uns, einen direkten chemischen Blick unter die Oberfläche des Mondes zu werfen.“
Bausteine des Lebens im All entdeckt
Die Analyse der Eispartikel ergab den Nachweis mehrerer biologisch relevanter organischer Moleküle, darunter sogenannte Pyrimidine – chemische Verbindungen, die auf der Erde eine zentrale Rolle in der DNA-Struktur spielen. Damit wurden erstmals solche Moleküle in einem Ozean außerhalb der Erde nachgewiesen.
„Wir vermuten, dass diese Moleküle in sogenannten Hydrothermalfeldern am Boden des Ozeans von Enceladus entstehen“, erklärt Khawaja. „Dort, wo heißes Wasser aus Spalten aufsteigt, könnten ähnliche chemische Prozesse ablaufen wie in den Tiefseequellen der Erde – also in Regionen, in denen wir ebenfalls Hinweise auf frühe Lebensformen finden.“
Hohes Flugtempo enthüllte verborgene Signale
Ein Grund, warum diese Entdeckungen erst jetzt möglich waren, liegt in der einzigartigen Flugbahn von Cassini. Beim Vorbeiflug im Jahr 2008 war die Sonde mit rund 65.000 Kilometern pro Stunde unterwegs – deutlich schneller als bei anderen Missionen. Das ermöglichte ihrem zentralen Messinstrument, dem „Cosmic Dust Analyzer“ (CDA), besonders präzise Daten zu sammeln.
„Durch die hohe Geschwindigkeit wurden störende Signale im Massenspektrum gewissermaßen ausgeblendet“, erklärt Khawaja. „So konnten wir Moleküle identifizieren, die in früheren Datensätzen verborgen blieben.“ Die Analyse zeigte, dass die neu entdeckten Verbindungen tatsächlich aus dem Ozeaninneren stammen – und nicht aus älteren Partikeln, die schon länger im All unterwegs waren.
Ein Blick in die Zukunft: Enceladus bleibt ein Ziel der Hoffnung
Auch wenn die Mission Cassini 2017 planmäßig endete, liefern ihre Daten noch immer wertvolle Erkenntnisse. Prof. Frank Postberg von der FU Berlin betont die langfristige Bedeutung der aktuellen Ergebnisse: „Diese Messungen öffnen ein neues Kapitel in der Erforschung außerirdischer Ozeane. Sie geben uns Hinweise darauf, wie Leben außerhalb der Erde entstehen könnte.“
Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) plant bereits eine Nachfolgemission für das Jahr 2040, um Enceladus erneut zu besuchen – diesmal mit noch präziseren Instrumenten. „Unsere Ergebnisse helfen, diese künftige Mission vorzubereiten“, so Khawaja. „Wir wissen jetzt genauer, welche Moleküle zu erwarten sind und welche Messmethoden besonders empfindlich reagieren müssen.“
Ein globales Forschungsteam auf der Spur des Lebens
An der Studie beteiligten sich Forschende aus mehreren Ländern: neben den Teams der Universität Stuttgart und der FU Berlin auch Wissenschaftler*innen der University of Colorado und der University of Washington in den USA sowie des Earth-Life Science Institute (ELSI) in Tokio. Gemeinsam arbeiten sie daran, das Puzzle der außerirdischen Chemie zu entschlüsseln.
„Enceladus zeigt uns, dass selbst in den eisigen Tiefen des äußeren Sonnensystems Bedingungen herrschen können, die Leben ermöglichen“, sagt Khawaja. „Jeder dieser kleinen Eiskristalle erzählt uns ein Stück der Geschichte dieses fernen Ozeans – und vielleicht irgendwann auch die Geschichte, wie Leben im Universum beginnt.“
